Note: Due to the war situation, SCI Switzerland is currently not sending volunteers to Palestine or Israel.

«Wir weigern uns Feinde zu sein»
Peter Keimer
Beim «Kilo sabata aschara (Kilometer 17)» führen zwei Strassen weg von der Hauptstrasse nach Hebron. Die eine, gut ausgebaut und mit ziemlich viel Verkehr, führt nach Neve Daniel. Die andere, viel schmaler dafür ohne Verkehr, führt zur Siedlung «Tent of Nations». Ich soll die schmalere nehmen, sagte Daoud, aber nach einer Weile sehe ich aus der Ferne einen Stein- und Erdwall. Beim Näherkommen entdecke ich, dass die Strasse nach dem Erdwall weiterführt und ein kleiner Trampelpfad weiterführt.
Ich klettere über den Roadblock und gehe an den Abfallhalden vorbei bis zum Tor des Farmingprojektes «Tent of Nations». Ich treffe ein paar internationale Freiwillige an, die gerade Olivenbäume zurückschneiden. Darunter auch Josef aus Bayern, der jedes Jahr hierher pilgert. Josef kommt aus der Landwirtschaft, und hat zu Hause in einem botanischen Garten gearbeitet. Ich habe das Glück, auf einen motivierten Instruktor gestossen zu sein, der mich in den Baumschnitt für Olivenbäume einführt.
«Zuerst die verdorrten Zweige wegschneiden, dann Äste, die über andere quer hinweg wachsen und sich reiben könnten, und dann auslichten. Nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel, damit keine Löcher entstehen. Die unterste Etage zuerst, dann die mittlere und dann die Krone. Und dann trittst du einen Schritt zurück und schaust dir den ganzen Baum nochmals an, und wenn er einen ausgewogenen harmonischen Eindruck macht, dann ist’s gut.»
So sagt’s Josef und knipst hier noch ein Ästchen weg und entfernt dort noch ein paar braune Blätter. Ein paar Bäume schneiden wir zusammen, dann darf ich alleine weiterfahren, und vor dem Mittagessen gratuliert er mir zur Gesellenprüfung.
«Ned gschimpft is globt gnua! sagen wir in Bayern.»
Bei unserer Arbeit im Olivenhain sehen wir verkohlte Olivenbäume, auch solche, die teilweise wieder ausgeschlagen haben. Das war das Werk der Siedler! Jugendliche aus den umliegenden Siedlungen, die nachts die Farm heimsuchten. Daoud berichtet später, dass sie auch grosse Teile der Mandelplantagen durch systematische geplante Aktionen verloren haben. Dauod Nasser betreibt diesen Hof zusammen mit seiner Familie, und seit 2002 mit internationalen Freiwilligen.
Das ToN – ein Familienbetrieb der mit Herausforderungen kreativ und selbstbestimmt umgeht
Weil sein Hof auf einem Hügel liegt, weckt das die Begehrlichkeiten der israelischen Siedler, die ihn und seine Leute am liebsten weg hätten, um dort eine weitere Siedlung zu errichten. Alle umliegenden Hügel sind bereits besetzt mit israelischen Siedlungen. Diese Umzingelung macht auch den Zugang schwierig. Der nächste Weg zur Hauptstrasse ist bereits permanent blockiert für Autos und anderen Gegenständen. Im Tal unten gibt es zwar noch eine Strasse, auf der Palästinenser*innne fahren dürfen, aber dies bedeutet einen grossen Umweg nach Bethlehem. Und auch diese Strasse ist manchmal tagelang blockiert durch die Armee. «Zufällig» auch vor einigen Tagen gerade am Ende der Olivenernte.
Dauod denkt deshalb darüber nach, sich eine kleine Olivenpresse zu beschaffen, damit er und seine Nachbar*innen im nächsten Jahr unabhängiger sind von dieser Willkür. «Autarkie» ist eine Leitidee in Dauods Referat, sich mit kleinen Schritten aus der Abhängigkeit zu lösen und sich nicht zum Opfer machen zu lassen. Dieser Ansatz verfolgt er auch bei der Energie: Solarpaneele gibt es schon auf dem Hof, aber im Winter könnte man auch noch den Westwind nutzen auch wenn dies zu Misfallen führen würde. Dauod drückt damit eine Haltung aus, die viele Palästinenser*innen verloren haben: Sich nicht unterkriegen lassen. Wenn die grossen Probleme unlösbar erscheinen, im Kleinen mit Fantasie und Durchhaltewillen nach Lösungen suchen.


Internationale Begegnungen und Freiwilligenarbeit als zentraler Anker und Schutz
Dauod betont, wie wichtig die internationalen Besucher*innen und Freiwillige für ihn sind. Ihre Präsenz bedeutet ein Schutz für das Projekt. Seit Tent of Nations 2002 zu einem internationalen Projekt geworden sei, habe es keine Vorfälle mit israelischen Siedler*innen mehr gegeben. Auch juristische Auseinandersetzungen vor Militärgericht seien zwar weiterhin lästig, geld- und zeitraubend, aber nicht mehr lebensgefährlich.
Was Dauod sagt, löst ein wenig meine Beklemmung, als Besucher, respektive Freiwilliger aus der satten Schweiz solche Projekte des Widerstands zu besichtigen. Ich habe dann mitunter das Gefühl, ich halte die Leute damit nur auf. Als mache meine Anwesenheit ihnen mehr Arbeit, als dass sie nützt. Dabei setzt die Farm bewusst auf das etablierte Prinzip der «protective presence» ein,das soviel bedeutet wie «Schutz durch Präsenz». Dabei wird durch internationale humanitäre Präsenz durch Freiwillige oder humanitäre Akteure Hilfe geleistet und möglicherweise Menschenrechtsverletzungen verhindert. Dennoch ein leiser Selbstzweifel bleibt, mich unbewusst am Elend anderer zu weiden. Gut, von Dauod zu hören:
«Ich lass’ mich nicht zum Opfer machen, weder von den Israelis, noch von euch Sympathisanten. Ich wehre mich mit Fantasie und Ausdauer, und ihr helft mir dabei mit eurer Präsenz.»
Für die wilden Abfalldeponien an der Zufahrtsstrasse hat Daoud einerseits eine Erklärung, die auf der Hand liegt: Die Israelis blockieren die Strasse für die Abfallentsorgung, so entsorgen die Leute ihren Abfall eben vor der Strassensperre. Auf sozialpsychologischer Ebene spielt die Opferhaltung dennoch eine grosse Rolle: Die Ansicht «die» haben uns das Land genommen, zerstückelt und unsere Bäume ausgerissen. Die Frage was bleibt da noch zu dem wir Sorge tragen sollen? Dem setzt Daoud ein kräftiges „Trotzalledem!“ entgegnen:
«Unser Widerstand besteht darin, dass wir gewaltlos, mit Ausdauer und Kreativität an unserem Land festhalten, es bebauen und pflegen.»
Sumud صمود (Standhaftigkeit) ist das arabische Wort für diese Haltung und der Olivenbaum ihr Symbol. Auf der Farm finde ich einen Stein auf dem geschrieben steht «Wir weigern uns Feinde zu sein». Dieser Satz und die Stärke der Menschen vor Ort bleiben mir noch lange in Erinnerung!

