Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF
Bern, 28. Mai 2024
Sehr geehrter Herr Bundesrat Parmelin,
sehr geehrter Herr Richterich,
sehr geehrte Damen und Herren
Mit Ihrem Schreiben vom 1. März 2024 haben Sie uns eingeladen, am Vernehmlassungsverfahren zur Änderung des Zivildienstgesetzes teilzunehmen. Wir bedanken uns für die Möglichkeit und nehmen diese gerne mit der folgenden Stellungnahme wahr:
Einleitung und grundsätzliche Beurteilung
Der SCI Schweiz organisiert Freiwilligenarbeit auf der ganzen Welt, die zum Frieden in einem breiten Sinne beitragen: Zur sozialen Gerechtigkeit, nachhaltigen Entwicklung, Gleichberechtigung, Solidarität und gewaltfreier Konfliktlösung. Unsere Organisation war massgeblich beteiligt an der Einführung des Zivildienstes in der Schweiz.
Der SCI Schweiz ist überzeugt, dass der Zivildienst in seiner heutigen Form sehr gut funktioniert und einen grossen Nutzen für die Gesellschaft und Umwelt stiftet. Der Zivildienst ist wirkungsvoll, effizient organisiert und somit gesellschaftlich wichtig, wie auch für die einzelnen Zivildienstleistenden sinnstiftend.
Daher lehnt der SCI Schweiz die Revision des Zivildienstgesetzes vollumfänglich ab. Auch, da es sich um dieselben Massnahmen handelt, die 2018 schon in die Vernehmlassung gegangen sind und 2020 vom Parlament in der Schlussabstimmung abgelehnt wurden.
Die Dienstleistungen des Zivildienstes im öffentlichen Interesse würden durch die vorgeschlagenen Massnahmen massiv sinken, während der Bedarf steigt, wie auch das Bundesamt für Zivildienst in seiner Strategie 2024+ schreibt (S.2). Der Bundesrat prognostiziert einen Rückgang der Zulassungen zum Zivildienst um 40 % (vergleiche S.22 des erläuternden Berichts). Dadurch ist auch bei der Zahl der geleisteten Zivildiensttage mit einem massiven Rückgang zu rechnen. Das würde insbesondere auf Kosten der grossen Tätigkeitsbereiche gehen, für die Kantone und Gemeinden zuständig sind: Sozialwesen, Schulwesen, Gesundheitswesen, Umwelt- und Naturschutz – alles Tätigkeitsbereiche, in denen der Fachkräftemangel bereits heute ausgeprägt ist und in Zukunft noch zunehmen wird. Zivildiensteinsätze in diesen Tätigkeitsbereichen sind ein Gewinn für das Funktionieren der Gesellschaft und des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Dies hätte auch Einbussen bei der Betreuungsqualität.
Eine Änderung des Zivildienstgesetzes soll sich mit dem Zivildienst auseinandersetzen und nicht den Versuch unternehmen, unklar definierte Probleme der Armee zu lösen. Es ist politisch fragwürdig, ein gut funktionierendes System zugunsten eines anderen zu verschlechtern. Probleme sind dort zu lösen, wo sie bestehen. Der Zivildienst soll den Bedürfnissen der Gesellschaft angepasst werden, nicht denen der Armee.
Kein Handlungsbedarf
Der Bundesrat begründet den vermeintlichen Handlungsbedarf mit zwei Hauptargumenten. Vorweggenommen kann gesagt werden, dass beide Argumente des Bundesrates einer ausführlichen Analyse nicht standhalten. Die Tatbeweislösung ist verfassungskonform und bietet keine freie Wahl. Und die Alimentierung der Armee ist gewährleistet. Es besteht deshalb kein Handlungsbedarf. Folglich verstösst die Vorlage gegen die Verfassung namentlich gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip.
Die Tatbeweislösung ist verfassungskonform und bietet keine freie Wahl
Der Tatbeweis bleibt bestehen, ganz unabhängig von der Anzahl Zulassungen. Der Verfassungsartikel wurde ausdrücklich so knapp und offen formuliert, um unter anderem auch die Tatbeweislösung zu ermöglichen. Auch das Gutachten von Pierre Tschannen, hält fest, dass der Tatbeweis keine freie Wahl ermöglicht und verfassungskonform ist. Auf dieser Grundlage hat dazumal das Parlament die Tatbeweislösung eingeführt. Gemäss Gesetz (Tatbeweis) gilt bei jeder Zulassung zum Zivildienst die Vermutung, dass ein Gewissenskonflikt vorliegt.
Die Alimentierung der Armee ist gewährleistet
Die Anzahl Zulassungen zum Zivildienst ist seit 2016 stabil zwischen 6100 und 6800 (abgesehen vom coronabedingten Einbruch 2020). Der Anteil der Zulassungen nach bestandener RS ist von über 40 % im Jahr 2017 auf knapp 32 % im Jahr 2022 gesunken. Die Armee ist grösser als erlaubt (Überschreitung des Effektivbestands von höchstens 140 000) und wächst jährlich um 3000 bis 4000 Personen. Weder das VBS noch der Bundesrat hat – auch angesichts der aktuellen Bedrohungslage – eine Erhöhung des aktuellen Sollbestands von 100 000 gefordert. Dieses Ziel ist mehr als gewährleistet, tragen doch nebst dem überhöhten Effektivbestand weitere Zehntausende zur Erreichung dieses Sollbestands bei (insbesondere die Durchdiener und die Angehörigen der Armee im letzten Jahr der Militärdienstpflicht).
Schwächung der Wehrgerechtigkeit und der Gesellschaft
Die Vorlage hält ihr Versprechen nicht. Denn die Abnahme der Zulassungen zum Zivildienst führt nicht im gleichen Mass zu mehr Angehörigen der Armee. Weil viele, die vom Zivildienst abgeschreckt werden, stattdessen den «Blauen Weg» einschlagen würden. Die Vorlage würde folglich die Wehrgerechtigkeit schwächen, weil insgesamt weniger Dienstpflichtige einen persönlichen Dienst (in Armee oder Zivildienst) leisten würden. Weiter würde die Vorlage der Gesellschaft schaden: Die Dienstleistungen des Zivildienstes im öffentlichen Interesse würden massiv sinken, während der Bedarf steigt. Das träfe die Kantone und Gemeinden, die zuständig sind für die grossen Tätigkeitsbereiche: Sozialwesen, Schulwesen, Gesundheitswesen, Umwelt- und Naturschutz. Quantität und Qualität der Dienstleistungen in den Einsatzbetrieben nähmen Schaden.
Militarisierung der Gesellschaft
Wir betrachten die geplante Änderung des Zivildienstgesetzes als einen Schritt der Remilitarisierung unserer Gesellschaft, der in der Schweiz und in der ganzen Welt zu beobachten ist. Die zaghaften Abrüstungsinitivativen sind zum Stillstand gekommen während die Rüstungsausgaben explodieren. Damit wird eine fehlgeleitete Antwort gesucht auf die tatsächlich steigende Bedrohung durch Kriege.
Für uns ist die militärische Gewalt keine adäquate Antwort auf diese Bedrohungslage. Im Gegenteil, die Aufrüstung trägt zur kriegerischen Eskalation bei. Die dafür verwendeten Ressourcen (Steuergelder und Dienstleistende, Forschung und Ausbildung) wären in der Friedensarbeit im In- und Ausland weit besser investiert. Denn wir müssen uns aus kurzfristigem politischen Reagieren in eine langfristige strategische Friedenspolitik bewegen.
Wir erkennen den Beitrag der schweizerischen Diplomatie und der Entwicklungszusammenarbeit zur internationalen Friedensarbeit an und sehen den Zivildienst als innerschweizerisches Lernfeld für gelebte gesellschaftliche Solidarität auf der Graswurzelebene. Auch unter den heute schwierigeren Rahmenbedingungen dürfen diese Bestrebungen nicht geschwächt, sondern müssen weiter ausgebaut werden.
Kritik der einzelnen Massnahmen
CIVIVA, die Dachorganisation, der an einem effektiven Zivildienst interessierten Organisationen, der wir auch angehören, hat sich im Detail mit den einzelnen Massnahmen auseinandergesetzt. Der SCI Schweiz schliesst sich dieser Kritik an.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Die Revision des Zivildienstgesetzes ist nicht nötig. Der Handlungsbedarf, den der Bundesrat geltend macht, ist nicht gegeben. Sie schadet dem Zivildienst, ohne der Armee zu nützen. Die Vorlage würde zu einem Rückgang an Zivildiensttagen führen. Zivildiensteinsätze, welche so wegfallen, werden eine Lücke in den Tätigkeitsbereichen des Zivildienstes – welche den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern – hinterlassen. Weiter ist die Vorlage illiberal (unnötige Einschränkung der Freiheit), sie verstösst gegen die Verfassung (Verhältnismässigkeit, Rechtsgleichheit, Recht auf zivilen Ersatzdienst, Glaubens- und Gewissensfreiheit) und gegen internationales Recht (Diskriminierung, Strafcharakter). Für den SCI Schweiz ist daher klar, dass diese Vorlage vollständig abgelehnt werden muss.
Im Namen des Komitees
Arbeitsgruppe politische Stellungnahmen
Kontakt: Service Civil International – Schweizer Zweig
Monbijoustrasse 32, 3011 Bern, Tel. 031 381 46 20, E-Mail: info@scich.org